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Interview mit Mathias Lüdtke-Handjery

„In einer digitalisierten Welt gibt die persönliche Beratung Orientierung“

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„In einer digitalisierten Welt gibt die persönliche Beratung Orientierung“

Mathias Lüdtke-Handjery, Managing Director der Finanzberatungsgesellschaft der Deutschen Bank, Postbank Finanzberatung AG und Deutsche Bank Immobilien GmbH

Sind wir schon in einer volldigitalen Welt angekommen, in der smarte Programme die Filiale und sogar die Beratung ersetzen können? Zeit für einen Blick darauf, wie Kundennähe heute verstanden wird und wie Kunden bei ihren Entscheidungsprozessen begleitet werden. Fragen an Mathias Lüdtke-Handjery, Managing Director der Finanzberatungsgesellschaft der Deutschen Bank, Postbank Finanzberatung AG und Deutsche Bank Immobilien GmbH.

Herr Lüdtke-Handjery, was haben wir im Kundenkontakt aus den Erfahrungen der vergangenen 20 Jahre gelernt? 

Das vielleicht Wichtigste gleich vorab: Die Digitalisierung macht viele Fortschritte, sie wird aber die Beratung nicht ersetzen. Ich würde sogar sagen, dass das Gegenteil der Fall ist: In einer digitalisierten Welt, in der eine Flut von Informationen 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche verfügbar ist, ist die persönliche Beratung immer wichtig, weil sie Orientierung gibt. Tatsache ist jedoch auch, dass sich die Kanäle, über die Beratung stattfindet, verändert haben und weiter verändern. 

Sie denken gerade an die Videoberatung?

Ja, zum Beispiel. Videoberatung hat enorm an Akzeptanz gewonnen. Daran hatte auch die Pandemie großen Anteil. Und sie trägt viel zur Kundennähe bei, denn es gibt zu vielen Themen einfach Gesprächs- und Erklärungsbedarf. Zum Immobilienerwerb etwa oder bei der Vorsorgeberatung, zum Erbe oder auch zur Anlageberatung. Es sind auch viele Jüngere, die auf uns zukommen, weil sie persönliche Beratung suchen. 

Auch Beratung über digitale Kanäle ist menschliche Beratung

Das ist insofern spannend, als man leicht den Eindruck bekommen könnte, dass die rein digital entwickelten Roboadvisor der klassischen Anlageberatung gerade den Rang ablaufen und dass auch ein Thema wie Finanzierung zunehmend online stattfindet. 

Das kann ich nicht bestätigen. Selbst bei der Baufinanzierung ist es auch bei den darauf spezialisierten Anbietern nur ein geringer prozentualer Anteil des Finanzierungsvolumens, das direkt online abgeschlossen wird. 
 
Richtig ist, dass der Anteil der digitalen Beratung zunimmt. Aber auch Beratung über digitale Kanäle ist vor allem eines: menschliche Beratung. Viele Banking-Services lassen sich heute bequem von der Couch aus erledigen – und das ist gerade auch für die Kunden eine echte Erleichterung. Es gibt aber immer noch zahlreiche Themen, für die Kunden lieber mit einer Beraterin oder einem Berater sprechen. Und hier wiederum nimmt die Präsenz vor Ort eine besondere Rolle ein als Anlaufstelle vor allem für sensible Beratungsthemen. Wir sprechen ja so oft von der Erbengeneration: Eine Finanzagentur, Filiale oder ein Anlagezentrum ist beispielsweise in aller Regel die erste Anlaufstelle im Nachlassgespräch. Und das dürfte auf Sicht auch so bleiben. 
Wie sieht für Sie dann heute eine sinnvolle Strategie aus, um bei Kunden im Entscheidungsprozess präsent zu sein?

Im Privatkundengeschäft ist ein professionelles Ineinandergreifen von gut funktionierenden digitalen Kanälen und physischen Anlaufstellen gepaart mit der Expertise der Berater*Innen essenziell.
 
Um im Entscheidungsprozess Ihrer Kundinnen und Kunden eine Rolle spielen zu können, müssen Sie aber wahrgenommen werden. Sie brauchen also Präsenz. Prominente Sichtbarkeit ist daher wichtig – und zwar online und offline. Suchmaschinen und Bewertungsportale spielen hier mittlerweile eine enorm wichtige Rolle. 
Präsenz und Sichtbarkeit ist also die Grundvoraussetzung. Wie geht es weiter? 

Am Ende geht es ja darum, eine Beziehung aufzubauen. Gefunden zu werden ist das Eine. Im nächsten Schritt muss es gelingen, Vertrauen zu schaffen. Und das geschieht, indem man über sich spricht: Wer bin ich? Was mache ich? Welches Spezialgebiet habe ich? Und – ganz wichtig – wie haben mich meine Kunden bewertet? Die Kunden sollen einen Eindruck bekommen, auf wen sie sich da einlassen. So entsteht eine Art Vertrauensvorschuss. 
 
Wenn dieser Einstieg gelungen ist, dann kann man den persönlichen Eindruck weiter unterstreichen – etwa durch den professionellen Umgang mit den Kanälen, auf denen man sich bewegt. Stellen Sie sich vor, dass Sie online auf der Suche nach Beratung sind. Sie finden auch eine Beraterin oder einen Berater in Ihrer Nähe. Dann stellen Sie aber fest, dass Sie erst spät eine Antwort bekommen, dass die Erreichbarkeit schlecht ist und dass die digitalen Kanäle offenbar ein Fremdwort sind. Das ist nicht gerade vertrauensbildend. Wenn Sie aber jemanden finden, der das alles „drauf hat“, dann entsteht bei Ihnen der Eindruck, dass Sie es mit jemandem zu tun haben, der professionell auf der Höhe der Zeit ist.

Wir bieten unseren Beraterinnen und Beratern eine „Marke Ich“-Beratung an

Das stellt ja schon gewisse Anforderungen an die Berater. Wie setzen Sie das in Ihrem Haus um? 

Ja, das verlangt auf jeden Fall Engagement, das jede Beraterin bzw. Jeder Berater auch mitbringen muss. Wir geben ihnen zusätzlich zahlreiche Hilfestellungen. 
 
Da gibt es etwa die Digibox, die jede/r unserer Handelsvertreter/innen haben kann: Das ist ein iPad oder Laptop als Hardware im Paket mit einer eigenen Finanzberater-Homepage. Diese dient nicht nur als Internet-Profil, sondern ist auch voll funktional, d.h. die Kunden können manche Produkte direkt auf der Homepage abschließen. Das geht vom Girokonto über Versicherungen bis hin zum Bausparvertrag. An diesen Abschlüssen partizipieren die Handelsvertreter auch. 
 
Wir nutzen außerdem einen Listingservice für Online-Verzeichnisse. Der stellt sicher, dass die Kontaktinfos überall im Netz gleich sind. Konsistenz der Information - das ist für mich auch ein Beitrag zur Vertrauensbildung.  
 
Natürlich ist uns auch wichtig, auf WhoFinance, dem führenden Bewertungsportal für Finanzberatung, vertreten zu sein.  Deshalb haben wir auch seit Jahren WhoFinance als festen Bestandteil in unsere DigiBox integriert.
 
Ein zunehmend bedeutendes Thema für die Kundengewinnung und –bindung ist Social Media. Viele Finanzberater*innen haben mittlerweile ein geschäftliches Social Media Profil. Wir unterstützen mit einem Redaktionstool, über das wir zentrale Postingvorschläge zur Verfügung stellen. 
 
Und um eine sinnvolle Klammer um die einzelnen Maßnahmen bilden zu können, bieten wir unseren Beratern eine „Marke Ich“-Beratung an. Sie zeigt ihnen, wie man sich gut im Internet präsentiert. Einige sind da natürlicherweise etwas affiner als andere, aber bei der „Marke Ich“-Beratung lernen alle noch etwas dazu. 
Welche Bedeutung werden künftig physische Standorte haben und nach welchen Kriterien legen Sie sie fest?

Wie schon gesagt, denke ich, dass Repräsentanzen vor Ort ihre Bedeutung als Anlaufstelle für sensible aber auch für etwas komplexere Beratungsthemen beibehalten werden. Es ist auch nicht etwa so, dass alle Älteren in die Filiale gehen wollen und alle Jüngeren alles online machen. Das hängt tatsächlich vom Thema ab – quer durch die Generationen. Für die alltäglichen Banking-Services benötigen Sie die Filialen in der Regel nicht, aber als Ort der Beratung schon. 
 
Grundsätzlich ist es unsere Strategie, dass die Abschlussstrecken für Berater und Kunden im Prinzip gleich sind – online, wie offline. Mit zunehmender Komplexität wird die Beratung aber vom Berater durchgeführt - man möchte jemanden mit Erfahrung an der Seite haben.
 
Das Komplexitätsthema sehen wir auch als differenzierendes Merkmal innerhalb der Beratung, wo wir eine Verlagerung hin zur Videoberatung wahrnehmen. Wenn es „ans Eingemachte“ geht, möchte man schon gerne physisch einem Menschen gegenübersitzen. 
 
Wenn es um die Entscheidung geht, ob sich ein Standort vor Ort lohnt, ist es wichtig, im Auge zu behalten, wie der Standort für Kunden erreichbar ist. Meine Effizienz steigt, je mehr Kunden zu mir kommen. Die müssen allerdings auch kommen können. Bin ich zu weit weg von ihnen, werden sie das nicht tun, weil ihnen der Aufwand dafür zu groß ist. Diese Balance gilt es zu halten. 
Wo erwarten Sie die größten Veränderungen in den nächsten 10 Jahren?

Ich denke, dass eine Vielzahl kleiner Veränderungen und Verbesserungen auf uns zukommen wird, die in ihrer Summe einen erheblichen Unterschied ausmachen werden. Und sie werden vielleicht schneller kommen, als wir dies noch vor wenigen Jahren erwartet hätten. Denken wir alleine an die Möglichkeiten, die künstliche Intelligenz bietet, und von denen wir ja erst den Anfang gesehen haben. 
 
An der Beratung als solcher hat sich ja im Wesentlichen nichts verändert. Was sich aber heute schon verändert hat, ist die Art, wie ich sie nutze. Vielleicht kann man schon sehr bald mit dem Berater virtuell auf die gleiche Anwendung schauen. Das würde noch mehr Nähe schaffen und Vertrauen aufbauen. 
 
Technologisch muss sich noch etwas in der Art und Weise tun, wie wir alltäglichen Aufgaben begegnen. Ein Beispiel ist hier die Identifikation, also etwa das Post-Ident-Verfahren oder ähnliche Angebote. Da müsste es bald etwas Moderneres und Schnelleres geben. Hier ruhen große Hoffnungen auf KI-basierten Lösungen. 
 
Gleiches gilt für ein anderes großes Thema - Orientierung: In der Flut von Informationen geht der Überblick verloren. Auch für den Kunden. Eine künstliche Intelligenz, die die Beratung unterstützt, indem sie Informationen analysiert und der Beratung vorsortiert zur Verfügung stellt: das wäre eine echte Hilfe. 


Wird Augmented Reality ein Thema werden?

Das sehe ich eher im Bereich physischer, haptischer Produkte. Bei einem Auto kann ich mir das gut vorstellen. Bei einer immateriellen Dienstleistung halte ich einen sinnvollen Einsatz von Augmented Reality eher für schwierig.
 
Digitale Tools werden uns aber dabei helfen, komplexe Zusammenhänge besser darzustellen: eine bessere Datenverarbeitung würde bessere Simulationsmodelle ermöglichen und die wiederum eine bessere Kundenberatung. 
 
Der Fokus sollte jedenfalls auf Verbesserungen liegen, die uns dabei helfen, mit den Kunden auf einer Wellenlänge zu sein und eine emotionale Bindung aufzubauen. Es gibt ja diesen Spruch, dass Kunden nicht Banken verlassen, sondern Berater. Da ist viel Wahres dran und das ist ein wichtiger Ansatzpunkt. 
Wird mehr Transparenz dazu beitragen, dass die Kunden preissensitiver werden? Und werden sich Ihrer Meinung nach auch Preismodelle verändern? Stichwort Honorarberatung. 

Da sind wir wieder bei der Kundenbindung: je geringer die Bindung, desto höher die Preissensitivität. Je zufriedener und je besser verstanden sich ein Kunde bei Ihnen fühlt, desto weniger sind die Konditionen ein Thema. Im Restaurant ärgern Sie sich erst über den Preis, wenn das Essen oder der Service schlecht waren – oder beides. 
 
Was die Honorarberatung angeht: Ich glaube nicht, dass wir da in 10 Jahren schon angekommen sein werden. Für mich stellt sich auch die Frage, was regulatorisch noch kommt. Gerade im Bereich der Finanzdienstleistungen sind ja alle Produkte bereits stark reguliert.  
 
Meine Erwartung bzw. mein Wunsch wäre eine möglichst praxisnahe Regulierung, bei der es am Ende um den Kundennutzen geht. Diese Auflagen müssten für alle Marktteilnehmer vergleichbar gestaltet werden. Das würde den Kunden helfen und es würde unsere Branche unterstützen und den Beratungsauftrag, den wir haben, langfristig sichern.