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Interview mit Dr. Marcus Walden

„Der erste Schritt der Überlegung sind nicht die Kosten, sondern die Kunden“

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„Der erste Schritt der Überlegung sind nicht die Kosten, sondern die Kunden“

Dr. Marcus Walden, Vorstandsvorsitzender der Rheinhessen Sparkasse

Dr. Marcus Walden, Vorsitzender des Vorstands der Rheinhessen Sparkasse, erklärt im Interview, wie er und seine Kolleginnen und Kollegen Digitalisierung nutzen, um erfolgreich die Nähe ihrer Kunden zu halten oder herzustellen. 


Herr Dr. Walden, Stichwort Multikanalbanking - wie würden Sie die Erfahrungen der letzten 20 Jahre zusammenfassen?

Multikanalbanking war tatsächlich vor 20 Jahren das Zauberwort. Ehrlicherweise muss man aber sagen, dass damals die hohen Cost-Income-Ratios im Vertrieb die eigentlichen Treiber dahinter waren. Das Kundenerlebnis als solches war ja eher eine Angelegenheit für ausgesprochene Technologiefans. Das Internet war langsam, die Bedienung mühsam – das war teils eine recht zähe Angelegenheit. Im Kern ging es damals darum, Standorte reduzieren und Kosten sparen zu können, vor allem Personalkosten.
 
Heute sieht das ganz anders aus: Wir nutzen alle Smartphones und die Digitalisierung ist in alle Lebensbereiche eingedrungen. Und die Digitalisierung explodiert ja geradezu weiter – von Monat zu Monat. Omnikanal oder Multikanal, wie es damals hieß, ist heute völlig normal. Aber, und Sie fragten vorhin nach Erfahrungen, wir haben festgestellt, dass der persönliche Kontakt wichtig bleibt. In diesem Kontext haben sich Filialen bzw. Standorte als ganz wichtiger Kontaktweg behauptet. 
 
Das mag auch mit dem Selbstverständnis einer Sparkasse zu tun haben, aber für uns haben Filialen nie grundsätzlich in Frage gestanden. Die Erfahrung aus den letzten 20 Jahren ist daher, dass es eben kein Entweder-oder gibt. Stattdessen ist es ein entschiedenes Sowohl-als-auch aus Standorten und digitalen Kanälen. Wir sind da, wo unsere Kunden sind – mit physischen Geschäftsstellen und auch online in der digitalen Welt. Letztere hat gerade in den vergangenen zwei, drei Jahren noch einmal eine enorme Dynamik entwickelt. Das hat uns wiederum gezeigt, dass es wichtig ist, flexibel zu bleiben, denn die Veränderungen kommen in immer kürzeren Abständen. 

Wie sieht heute für Sie eine sinnvolle Strategie aus, um bei Ihren Kunden im Entscheidungsprozess präsent zu sein?

Die zentrale Erkenntnis ist, dass wir von einer hybriden Welt sprechen. Die erste Frage lautet dann: Wo braucht uns der Kunde? Und die Anschlussfrage: Bin ich da präsent? 
Da muss man einfach feststellen, dass eine ganze Reihe von Leistungen des „ganz normalen“ Bankings sich ins Internet verlagert haben. Keiner fragt unterwegs: „Können wir mal an einer Bank halten, ich muss eine Überweisung machen.“ Zahlungsverkehr, Orders, das muss heute online und von überall funktionieren. Das erwarten die Kunden auch. Wir dürfen nicht vergessen, dass sich gerade in diesem Bereich branchenfremde und sehr ernstzunehmende Wettbewerber tummeln – denken wir nur an Amazon oder Facebook, also jetzt Meta. Da sind wir präsent und unsere Kunden wissen und schätzen das auch. Die Sparkassen-App ist die meistgenutzte Banken-App in Deutschland. 
 
Daneben gibt es aber noch eine zweite Bedarfskategorie, nämlich die, wo ich ein menschliches Gesicht sehen möchte. Das ist ganz klar im Finanzierungsbereich der Fall, wo man sich mit Entscheidungen teils lang bindet, aber auch bei der Anlageberatung. Ich würde sogar noch etwas weiter gehen und sagen, generell bei Beratung. Da hat man vorher zwar versucht, sich schlau zu machen, möchte dann aber doch noch einmal die Meinung vom Profi hören. Das funktioniert zum Teil sehr gut über Videoberatung. Wenn es um die sprichwörtliche Wurst geht, setzt man sich aber doch gern persönlich mit jemandem an einen Tisch. 

Zwischen Kundennähe und hybrider Welt

Noch einmal kurz zum Payment-Thema. Sie erwähnten vorhin Amazon und Meta. Lassen sich die europäischen Banken da die Butter vom Brot nehmen?

Nein, das würde ich nicht sagen. Es stimmt aber, dass der Payment-Markt sehr amerikanisch geprägt ist. Wenn ich Sie danach frage, welche Kreditkartenanbieter Ihnen einfallen, dann sind dies vermutlich Visa und Mastercard und dann noch American Express. Es kommt aber von europäischer Seite Bewegung rein: In der European Payments Initiative EPI haben sich über 30 Zahlungsdienstleister und Banken aus sieben europäischen Ländern zusammengetan. Sie wollen einheitliche europäische Zahlungsverfahren für Kunden und Händler etablieren. Ich finde diese Initiative gut. Was mir daran gefällt, das ist, dass es ein gesamteuropäischer Ansatz ist, denn die EPI wird von der EZB und der EU-Kommission unterstützt.  
Zurück zu Kundennähe und hybrider Welt: Wie darf ich mir die Umsetzung vorstellen?

Wir sind ja ein Haus, das erst vor gar nicht allzu langer Zeit fusioniert hat und wir haben diese Fusion auch gleich zu Beginn für wesentliche Zukunftsthemen genutzt. Beispielsweise haben wir einen eigenen Bereich für Digitalisierung gegründet. Da setzen wir alles ein, was die Sparkassen-Finanzgruppe bietet und hergibt – und das ist wirklich eine ganze Menge. Es ist uns auch wichtig, nicht hinterherzulaufen, sondern eher bei den Vorreitern zu sein. Beispielsweise waren wir unter den ersten, die Videoberatung eingesetzt haben. Erst bei den Privatkunden, dann auch bei Geschäftskunden. Das ist uns wichtig, bei solchen Entwicklungen vorn dabei zu sein, denn jede Form von Weiterentwicklung findet immer schneller statt. 
 
Wir sind hier in Rheinhessen, da ist man von der Lebensart her sehr gesellig. Das sind wir auch. Man trifft sich gern, man tauscht sich aus, man spricht miteinander. Aber – alle sind auch online. In diesen beiden Welten müssen wir uns zeigen, und zwar glaubwürdig, persönlich und sympathisch. Physisch ist das einfach, unsere Kunden haben nämlich die Möglichkeit, uns in einem unserer Beratungscenter zu besuchen. Wir legen auch großen Wert auf die Filialen, denn sie sind einer unserer USPs: Wir sind persönlich vor Ort. Diese Glaubwürdigkeit, Nähe und Sympathie versuchen wir auch online zu transportieren. Wir haben ein Team aus jungen Kolleginnen und Kollegen drangesetzt, das für uns zum Beispiel auf Social Media in kleinen Clips Geschichten aus ihrem Alltag erzählen. Dabei haben sie auch relativ freie Hand. Sie erzählen beispielsweise, wie sie ein junges Pärchen bei Finanzierung seines Hauses begleitet haben. Das ist persönlich, sehr authentisch und wir kommen als das rüber, was wir sind: ganz normale und sympathische Menschen aus der Region mit einem Herz für die Region. So stellen wir auch unser gesellschaftliches Engagement in der Region dar, wo wir uns beispielsweise sehr für Bienenvölker einsetzen. Das trifft bei unseren Kunden einen Nerv und kommt sehr gut an. 
Vermutlich dürften sich nicht alle Kolleginnen und Kollegen mit der gleichen Begeisterung und auch Souveränität online bewegen. Das stellt an sie ja auch Anforderungen…

Auf jeden Fall. Da muss man auch unterscheiden: Das Social Media Team besteht aus Kolleginnen und Kollegen, die sehr Social Media affin sind und daran großen Spaß haben. Dennoch haben Sie natürlich Recht: Das hybride Beraten stellt an unsere Kolleginnen und Kollegen im Vertrieb auch neue Anforderungen. Beginnend bei ganz banalen Dingen, wie der Beherrschung der Technik. Weiter geht es mit der Präsenz vor der Kamera, etc. Da schmeißen wir niemanden ins kalte Wasser, sondern es gibt dafür Trainings und Schulungen. Jeder von uns war schon in Video-Calls, in denen dann jemand sein Mikrofon nicht ein- oder ausschalten konnte oder man im Gegenlicht nur eine Silhouette gesehen hat. Davon wollen wir uns bewusst abgrenzen. Dazu eine kleine Anekdote aus der Zeit, als wir mit der Videoberatung anfingen, das war kurz vor der Pandemie: Der älteste Kunde im Videochat war damals 84 und erklärte unseren Beratern dann, wie er mit der Technik umgeht. Soviel auch zum Thema, dass die Generation 70 plus nicht online ist. Ich halte das für ein hartnäckiges und falsches Gerücht.
 
Wir arbeiten recht konsequent daran, die digitalen Kompetenzen unserer Teams zu stärken – und ich meine das durchaus in einem weiteren Sinne. Es geht nicht nur darum, zu spezifischen Bankthemen die Systeme zu beherrschen, sondern das Feld ist viel weiter: Wie sieht eigentlich mein eigener Social Media Auftritt aus? Wie steht es um mein Facebook-Profil? Das sind Fragen, die auch für unsere Mitarbeiter interessant und wichtig sind und damit am Ende auch für uns. Je vertrauter ich damit bin, desto natürlicher wird meine digitale Kommunikation.    
 
Auch zu erwähnen: Wir stellen auch die Technik dafür. Wir zählen sicherlich beim mobilen Arbeiten bundesweit zu den Sparkassen, mit den meisten Laptops zuhause oder unterwegs für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. 

Bekenntnis zu physischen Standorten

Vor dem Hintergrund der beschriebenen Entwicklungen und des hybriden Ansatzes stellt sich trotzdem oder erst recht die Frage, wie die Rheinhessen Sparkasse mit der Weiterentwicklung ihrer Standorte verfährt. Welche Kriterien spielen dabei eine Rolle?

Der erste Schritt der Überlegung sind nicht die Kosten, sondern die Kunden. Wir fragen uns und untersuchen, ob und wie sich das Kundenverhalten verändert hat und ob und wie gut wir diesem veränderten Verhalten entsprechen, was wir gegebenenfalls selbst noch verändern müssen.  
 
Hierzu muss man vielleicht wissen, dass wir keine starre Zuordnung von Abteilungen zu Standorten haben. Wir sind die erste Sparkasse in Deutschland, die bei ihrer Fusion ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Abteilungen nicht einem festen Standort zugewiesen hat. Bei uns war mobiles Arbeiten schon vor Corona die Regel. Unsere Kolleginnen und Kollegen können überall arbeiten, wo es stabiles W-Lan gibt. Und zwar bis zu 100%. Das ist ein ganz klares Merkmal im Profil der Rheinhessen Sparkasse als moderne und größte Sparkasse in Rheinland-Pfalz. Ja, das muss gut organisiert sein und mit dem Team abgesprochen sein, aber es ist bei uns möglich und wird auch wirklich genutzt. 
 
Mit diesem mobilen Ansatz sind wir bereits sehr nah dran an dem, was wir an verändertem Kundenverhalten wahrnehmen. Dort zu sein, wo die Kunden sind. Dinge wie Überweisungen wandern zunehmend vollständig ins Internet – und hier immer mehr ins mobile Internet. Gleichzeitig stellen wir fest, dass beim Kundenbesuch die Fragen immer komplexer werden, weil auch die Welt immer komplexer wird. Insofern folgen wir auch hier dem Kundenverhalten, wenn wir die für die Beantwortung dieser immer komplexeren Fragen notwendigen Kompetenzen in unseren Beratungscentern bündeln. 
Und dabei spielt die Profitabilität überhaupt keine Rolle?

Vielleicht haben wir da als Sparkasse einen gewissen Vorteil gegenüber anderen Banken. Wir müssen nicht mit jeder Filiale große Gewinne machen, sondern es reicht aus, wenn wir „betriebswirtschaftlich auskömmlich“ arbeiten. Und das tun wir. Wir sind daher etwas freier darin, mit den Strukturen der Geschäftsstellen dem Bedarf der Kunden zu folgen. Aus den erwähnten Gründen, wie komplexere Themen und intensivere Beratung, nehmen wir derzeit einen Trend zu den größeren Beratungscentern wahr, in denen wir Beratungskompetenzen bündeln können.
Richten wir den Blick noch etwas weiter nach vorne: Wo erwarten Sie künftig die größten Veränderungen? Sagen wir in zehn Jahren?

Wir werden aller Voraussicht nach mehr dezentrale Teams sehen. Das ist aber eher eine kontinuierliche Entwicklung hin zu deutlich agileren Arbeitsmodellen. Die nächsten größeren Veränderungen werden auf jeden Fall aus dem Bereich der Digitalisierung kommen. Es mehren sich die Stimmen, die sagen, dass wir erst den Anfang gesehen haben. Gerade, wenn man an die Möglichkeiten von KI-Anwendungen denkt und deren rasante Geschwindigkeit, glaube ich, dass wir erst die Spitze des Eisbergs gesehen haben. Es liegt an uns, die Potenziale durch KI-Anwendungen zu erkennen und zu nutzen, genauso wie die Risiken kritisch und konstruktiv zu betrachten.
 
Enorme Änderungen werden einhergehen mit der digitalen und nachhaltigen Transformation vor allem des Mittelstandes, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Und wahrscheinlich werden wir in 10 bis 20 Jahren Veränderungen aus einer Richtung haben, die wir heute einfach noch gar nicht kennen.
 
Noch wesentlich mehr Gewicht wird das Thema Nachhaltigkeit erhalten. Es mag vielleicht gerade durch andere Schlagzeilen in der öffentlichen Wahrnehmung etwas überlagert sein, aber das Thema gewinnt auch auf europäischer Ebene permanent an Bedeutung. 
 
Und wenn man die beiden Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit zusammen betrachtet, dann wird es richtig spannend. Hier glaube ich, dass wir aus dieser Schnittmenge in den kommenden Jahren noch einige sehr interessante Entwicklungen sehen werden.