05. July 2023 von Dirk Wohleb | Interview
Kunden zahlen Milliarden an unnötigen Gebühren
Die EU-Kommission nimmt doch Abstand vom Provisionsverbot. Aus Sicht von Karl Matthäus Schmidt, Gründer und Vorstandschef der Quirin Privatbank, ein Fehler. Denn bei der Provisionsberatung stünden die Interessen des Beraters im Vordergrund. Im Interview erläutert er, was sich ändern müsste und warum der Begriff Honorarberatung Kunden eher abschreckt.
Herr Schmidt, die EU-Kommission will nun doch keine Provisionen verbieten. Wie bewerten Sie diese Entscheidung?
Das ist aus Sicht aller Bankkundinnen und Bankkunden bitter – sie zahlen jedes Jahr Milliarden Euro an unnötigen Gebühren für Provisionen oder Kick-backs, für die sie auch noch schlechte oder unpassende Produkte bekommen. So hat die Deka beispielsweise im zweiten Halbjahr 2022 vier Mal so viele Zertifikate an Privatanleger verkauft wie Fonds. Zertifikate sind, nur um das einmal einzuordnen, Wetten der Banken gegen ihre Kunden und absolut ungeeignet für das Gros der Privatanleger, in den USA sind sie quasi verboten. Warum werden sie in deutschen Banken verkauft? Weil diese daran massiv an Provisionen verdienen. Dieser Geldmacherei hätte nur ein Provisionsverbot Einhalt gebieten können. Leider hat EU-Kommissarin Mairead McGuinness sich dem massiven Druck der Provisionslobby gebeugt – die Anlegerinnen und Anleger zahlen die Zeche. Ein Trauerspiel.
Wie schätzen Sie die Bereitschaft der Menschen hierzulande ein, für Finanzberatung ein Honorar zu bezahlen?
Hoch, wenn die Leute wüssten, dass es so wie bei uns prozentual abgerechnet werden kann – und ein Stundenhonorar nicht die Regel, sondern die Ausnahme ist. Realität ist aber, dass 90 Prozent der Deutschen glauben, dass sie noch nie für Beratung bezahlt haben, wie zum Beispiel die Puls-Studie vom Februar 2023 zeigt. Die meisten Menschen gehen also davon aus, dass sie bei ihren Banken kostenlos beraten werden. Sie haben daher gar keine Veranlassung, nach einer Alternative Ausschau zu halten. Ich bin überzeugt, dass viele Menschen bereit wären, transparente Honorare zu zahlen, wenn sie die unabhängige Beratung gegen Honorar kennen würden, wenn sie wüssten, was die vermeintlich kostenlose Beratung bei ihrer Bank sie wirklich kostet und, dass sie mit Honoraren meist günstiger kämen oder dass sie nur dann unabhängig beraten werden können, wenn es keine Fehlanreize durch Provisionen gibt.
Schreckt der Begriff Honorarberatung ab?
Genauso ist es. Der deutsche Gesetzgeber hat sich im Gegensatz zu allen anderen Ländern, in denen es unabhängige Beratung gegen Honorar gibt, dafür entschieden, die Alternative zum Provisionsvertrieb „Honorarberatung“ zu nennen. Wie klingt das? Richtig – es klingt teuer und stellt den Nachteil, die Bezahlform, in den Vordergrund. In allen anderen Ländern heißt es „unabhängige Beratung“ – hier steht der Vorteil im Fokus. Dass der Name ganz entscheidend für die Wahrnehmung bei den Menschen ist, zeigt die erwähnte Studie der Puls Marktforschung. Bei „Honorarberatung“ ist die erste Assoziation für 74 Prozent der Befragten „Ich muss etwas zahlen“, bei „unabhängiger Beratung“ ist die erste Assoziation für 59 Prozent „Ich bekomme einen unabhängigen Rat“. Das sagt doch alles.
In Deutschland gibt es im Vergleich nur sehr wenige Honorarberater. Warum lässt sich dieses Konzept nur so schwer durchsetzen?
Weil es politisch nicht gewollt ist und der Gesetzgeber seine schützende Hand lieber über die Banken hält, statt über die Bankkunden. Der Gesetzgeber wälzt stattdessen die Verantwortung auf die Bankkunden ab. Der Punkt ist: Ein Kunde fühlt sich schon dann gut „beraten“, wenn sein Berater nett ist und ihn nach den Kindern, dem Hund oder dem nächsten Urlaub fragt – diese gute zwischenmenschliche Beziehung geht aber nicht zwingend einher mit dem Verkauf passender und guter Produkte. Das sind zwei Paar Schuhe. Zumal selbst die eigentliche Beratung keine ist, sondern ein Abverkauf bestimmter Produkte.
Kommt es zu Fehlanreizen durch die Provisionen?
Der Berater ist in der Provisionswelt über seine persönlichen Zielvorgaben immer dazu angehalten, die Produkte aus der ohnehin schon stark eingeschränkten hauseigenen Produktpalette zu verkaufen, die die meisten Provisionen einbringen.
Schon heute könnten sämtliche Banken jederzeit auf Provisionen verzichten, das werden sie freiwillig aber nicht tun, weil sie an Provisionen mehr verdienen als an Honoraren. Deshalb müssen Provisionen verboten und die Alternative, die unabhängige Beratung gegen Honorar, eingeführt werden.
Welche Vorteile hat aus Ihrer Sicht die Honorarberatung?
Der Berater oder die Beraterin unterliegt nicht dem Interessenkonflikt: „Verkaufe ich das, was am besten für den Kunden ist oder das, was meinem Arbeitgeber die höchsten Provisionen bringt?“ Honorarberater haben keine hauseigenen Produkte, sondern suchen unabhängig die besten und günstigsten Produkte am Markt aus. Zudem ist die unabhängige Beratung gegen Honorar in den meisten Fällen die deutlich günstigere Alternative, wenn man alle Kosten berücksichtigt. Und sie funktioniert – im Gegensatz zu dem, was die Provisionsbanken immer behaupten – für alle Vermögensklassen – egal, ob Sie 25 Euro monatlich oder 250.000 Euro einmalig anlegen wollen. Der entscheidende Punkt ist: Geldanlage ist ein Vertrauensgut – ich kann es nicht Probe fahren, sondern sehe erst in zwanzig Jahren, ob das Produkt wirklich gut war oder ob es nur dem Zwecke diente, Provisionserträge zu generieren. Deshalb muss der Produktverkauf beziehungsweise die Beratung heute unbedingt von Fehlanreizen durch Provisionen entkoppelt werden.
In England hat die Einführung der Honorarberatung dazu geführt, dass viele Menschen keine Finanzberatung mehr in Anspruch nehmen. Ist das nicht ein wichtiges Argument für die Provisionsberatung?
Das stimmt nicht – schauen Sie sich den Abschlussbericht der englischen Aufsichtsbehörde FCA an – nur 10 Prozent der Menschen, die keine Beratung in Anspruch genommen haben, haben als Grund die Kosten angegeben. 70 Prozent sagten, sie bräuchten derzeit einfach keine Beratung – ähnliche Ergebnisse erhielte man sicher auch, wenn man dieselbe Frage in Deutschland stellen würde, obwohl es hier Provisionen und eine vermeintlich kostenlose Beratung gibt. Dass in der Honorarberatung eine Beratungslücke entstehen würde, ist ein Märchen, das von der Provisionslobby immer und immer wieder erzählt wird, damit der Gesetzgeber Provisionen ja nicht verbietet – und wie man sieht, diese Rechnung geht immer wieder auf.
Wie könnte Honorarberatung in Deutschland attraktiver werden?
Der erste und wichtigste Schritt hierfür ist die Umbenennung in „unabhängige Beratung“. Nur dann ist die Basis für einen gleichberechtigten Wettbewerb nebeneinander gesorgt – wenn das Kind beim Namen genannt wird – nämlich der „abhängige Verkäufer“ in den provisionsfinanzierten Banken und der „unabhängige Berater“ im Honorarmodell.
Grundsätzlich ist die Honorarberatung attraktiv, nur wissen es die wenigsten. Damit sie sich auf breiter Fläche durchsetzt, braucht es ein Provisionsverbot, von dem wir als einzige Bank, die seit jeher auf Provisionen verzichtet, übrigens absolut nichts hätten, im Gegenteil – dann machen alle Banken, was wir tun, unser Alleinstellungsmerkmal fällt weg, es wird deutlich schwerer für uns, Kunden zu gewinnen. Das aber nur am Rande, weil uns immer Eigeninteresse vorgeworfen wird, kurioserweise von den Fans der Provisionsindustrie, die aus Eigeninteresse an Provisionen festhalten.
Damit die Menschen die Vorteile einer unabhängigen Beratung erkennen, müsste endlich Schluss sein mit dem Märchen, dass Honorare nur auf Stunden abgerechnet werden – das ist eine Option, aber in der Praxis ist die Stundenabrechnung die Ausnahme, die Regel ist ein prozentuales Honorar vom angelegten Betrag – wer wenig anlegt, zahlt auch wenig.
Es müsste zudem Schluss sein mit dem Märchen, dass mit einem Provisionsverbot eine Beratungslücke entstehen würde – England und andere Länder zeigen, dass dem nicht so ist oder nur für einen kleinen Teil der Bevölkerung. Und für diese Lücke gibt es schon heute gute Lösungen, die allemal besser sind als der Verkauf überteuerter und unpassender Produkte in den Provisionsbanken dieser Welt.
Alles in Allem müsste der Gesetzgeber seine schützende Hand endlich einmal über die Bankkunden – und nicht über die Banken – halten.
Zur Person

Karl Matthäus Schmidt ist Vorstandsvorsitzender der Quirin Privatbank AG und Gründer von quirion. Als Sohn einer Bankiersfamilie in sechster Generation lernte er das Bankgeschäft von der Pike auf kennen. Er gilt in der Branche als Querdenker und revolutionierte das Bankensystem in Deutschland drei Mal: 1994 gründete er mit 25 Jahren Consors, den ersten Online-Broker Deutschlands. Die Consorsbank ist heute die Direktbank der französischen BNP Paribas. 2006 ging unter der Leitung von Karl Matthäus Schmidt die Quirin Privatbank, Deutschlands erste von Provisionen unabhängige Bank, an den Start. Sie ist bis heute die einzige Bank, die Anleger ausschließlich unabhängig gegen Honorar berät und damit einzig die Interessen des Kunden in den Mittelpunkt stellt. 2013 hat Schmidt quirion, die digitale Geldanlage der Quirin Privatbank, gegründet. Hier können Anleger ohne Mindestanlage einfach und bequem in eine professionelle Vermögensverwaltung investieren. Seit Juli 2018 ist quirion als Tochter der Quirin Privatbank rechtlich selbstständig. Zudem wurde quirion zweimal in Folge Testsieger bei Stiftung Warentest (Finanztest 08/2018 und 07/2021). Schmidt hat als Vater von fünf Kindern seine Wurzeln in Franken und lebt in seiner Wahlheimat Berlin.