06. May 2020 von Dr. Herbert Walter | Interview
Corona-Krise II: „Mit viel Gefühl aus der Ferne führen“
Dr. Herbert Walter – 6. Mai 2020
Die Corona-Krise und der im März verordnete Lockdown des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zusammenlebens stürzen ungezählte Unternehmen in Deutschland in existenzielle Probleme. Ein Gespräch mit Andreas Glemser, Eigentümer und Chef der COCOMIN AG, einem gefragten Beratungs- und Coaching-Unternehmen in Stuttgart, über Handlungsempfehlungen für die Zeit der schrittweisen Rückkehr aus dem Homeoffice (Interview Teil I lesen).
Herr Glemser, kann man sich als Führungskraft auf eine Krise vorbereiten und wenn ja, wie?
Eine Krise wie jetzt kommt immer überraschend. Darauf kann man sich unmittelbar nur schwer vorbereiten, weil man ja nicht weiß, was da auf einen zukommt. Schauen Sie sich doch nur die Situation im Moment an.
Sie meinen die schrittweise Rückkehr der Belegschaft und Führungskräfte aus dem Homeoffice?
Absolut. Da stellt sich auch die Frage, ob die Führung darauf vorbereitet ist. Ich habe heute mit der Führungskraft eines Finanzdienstleisters gesprochen. Die hat mir anvertraut, dass es viel schwerer fällt, die Rückkehr der Beschäftigten aufzugleisen, als diese im März ins Homeoffice zu schicken.
Was macht das Comeback so komplex?
Meiner Klientin ist erst in den letzten Wochen bewusst geworden, dass das Unternehmen bisher die Chancen des flexiblen, digital unterstützten Arbeitens nicht annähernd genutzt hat. Jetzt einfach da weiterzumachen, wo man vor sieben Wochen aufgehört habe, wäre ein Fehler, so die Führungskraft. Das Arbeiten von Zuhause aus habe einfach viel zu gut funktioniert, um es jetzt als Episode abzutun und zur Tagesordnung überzugehen.
Was haben Sie Ihrer Kundin geraten?
Steckt doch in der Führung einfach mal die Köpfe zusammen und überlegt, ob Ihr nicht schon kurzfristig anfangen könntet, einen flexibleren Arbeitsmodus einzuüben. Das liefe auf eine Mischung aus Homeoffice und Office hinaus.
Was würde das konkret bedeuten?
Die Belegschaft und Führungskräfte würden einen Teil der Arbeit von Zuhause aus erledigen, müssten aber nicht auf das persönliche Miteinander mit ihren Kolleginnen und Kollegen in den Firmenräumen verzichten. Dazu wäre erforderlich, dass die Firma die Möglichkeiten der Digitalisierung deutlich forcierter nutzt. Auch wäre es unbedingt zu empfehlen, die Führungskräfte auf die Tücken des Führens aus der Distanz gut vorzubereiten.
Die Zusammenarbeit zwischen Belegschaft und Führungskraft scheint Ihnen sehr am Herzen zu liegen. Warum?
Die Erfahrung hat mich gelehrt: Je reibungsloser die Belegschaft und Führung in „normalen“ Zeiten zusammenarbeiten, umso besser sind gerade Finanzdienstleister gerüstet, wenn plötzlich und meist ja unerwartet die nächste Krise einschlägt.
Wann ist die Zusammenarbeit für Sie gut?
Die ist für mich gut, wenn ein besonderes Augenmerk gelegt wird auf die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter, auf die Balance zwischen Arbeit und freier Zeit und auf das Verhältnis zwischen Mitarbeitern und Führungskräften.
Was sollte eine Führungskraft bei seiner Kommunikation beachten, wenn die Mitarbeiter aus dem Homeoffice heraus arbeiten?
In einer Homeoffice-Situation wie jetzt braucht es Rhythmus, Rituale und ein gutes Händchen für Menschen. Erstens: Regelmäßige Einzelgespräche per Telefon oder noch besser Video. Zweitens: Online-Meetings mit dem gesamten Team. Und drittens: Ein Geschick, um mit viel Gefühl aus der Ferne zu führen.
An was sollten Führungskräfte bei Einzelgesprächen per Telefon oder Video denken?
Zunächst sollte festgelegt werden, wie oft diese Gespräche künftig stattfinden sollen. Ich würde vorschlagen, mit einmal pro Woche anzufangen. Aber dabei muss man flexibel bleiben und sich immer wieder absprechen, ob der Rhythmus noch passt.
Und dann?
Wichtig ist, dass die Führungskraft die ganze Situation der Mitarbeiterin bzw. des Mitarbeiters im Blick hat – privat wie geschäftlich, vom Kopf her wie auch emotional. Themen könnten sein:
- Wie geht’s Dir und Deiner Familie?
- Was macht Corona mit Dir?
- Was glaubst Du, wie es künftig weitergeht?
- Wie ergeht es Dir im Homeoffice?
- Was sind aktuell Deine drei wichtigsten Prioritäten?
- Was konkret machst Du, um bei Deinen wichtigsten Themen voranzukommen?
Mit viel Gefühl aus der Ferne zu führen, haben Sie gesagt. Auf was kommt es da in der Kommunikation an?
In den Gesprächen geht es darum, den Menschen emotionale Sicherheit zu geben. Interesse am Gesprächspartner zu zeigen, halte ich für eminent wichtig. Regelmäßig ehrliches Feedback zu geben, gehört zu einer guten Führung aus der Ferne ebenso, wie wertschätzend zu kommunizieren sowie menschlich miteinander umzugehen – und nicht zuletzt über das zu reden, was gut gelaufen ist.
Was bedeutet das für die virtuellen Teammeetings?
Auf die Agenda eines Online-Teammeetings gehören:
- Aktuelle Informationen zum Unternehmen durch die Führungskraft
- Aktueller Stand der drei geschäftlichen Top-Prioritäten
- Und im Hinterkopf muss dabei immer präsent sein, für eine positive Grundstimmung zu sorgen.
Wie organisieren sich die Teams im Homeoffice?
Für die Online-Teammeetings ist ein- oder zweimal pro Woche für jeweils 45 Minuten ein guter Startpunkt. Etwas mehr als ein Drittel der Teams behält diesen Rhythmus auch über längere Zeiträume bei.
Und wie halten es die anderen Teams?
Ich fange mal mit dem weniger Guten an: Der Anteil jener Teams, die selten bis gar nicht zu einem virtuellen Teammeeting zusammen kommen, ist aus meiner Sicht leider zu hoch.
Und die gute Nachricht?
In unübersichtlichen Marktsituationen stimmt sich deutlich mehr als ein Drittel der Teams einmal, manchmal sogar mehrfach am Tag per Video mit ihrer Führungskraft ab. Dadurch erfahren die Mitarbeiter, dass die Führungskraft ansprechbar ist und sie Themen eskalieren können. Auch fallen Abweichungen vom Ziel dann rascher auf und es kann angemessen reagiert werden.
Kommunikation ist alles, vor allem in der Krise. Welchen Stellenwert hat für Sie hier der informelle soziale Kontakt?
Einen ganz hohen. Je schwieriger die Zeiten und je mehr aus der Distanz geführt wird, umso mehr muss es auch menscheln. Sonst drückt das auf die Stimmung im Team. Das wird eine gute Führungskraft genauso sehen und wird auch etwas dafür tun. Ein Wir-Gefühl zu haben, sich im Team wohlzufühlen, offen miteinander reden zu können – ohne diesen emotionalen Ausgleich sind längere Phasen großer Unsicherheit kaum zu durchstehen.
Wie schafft man es denn, in diesen turbulenten Zeiten eine positive Grundstimmung zu schaffen und – mehr noch – zu erhalten?
Ein konkretes Beispiel aus meinem Unternehmen: Meine wichtigste Botschaft war, dass wir alles getan haben, um die Zukunft unseres Unternehmens und unserer Arbeitsplätze zu sichern. Und dass wir sagen können: Wir werden ganz sicher bis Herbst 2021 überleben, selbst unter der überaus pessimistischen Annahme, dass wir keinen einzigen Euro Umsatz machen in dieser Zeit. Dadurch haben wir alle den Kopf frei bekommen, um uns mit unserer Zukunft zu beschäftigen.
Die Fragen stellte Dr. Herbert Walter
Den ersten Teil des Interviews mit Andreas Glemser lesen Sie hier.
Der Führungsbegleiter
Andreas Glemser, 55, ein gebürtiger Stuttgarter, ist sein 22 Jahren leidenschaftlicher Unternehmer. Er hat in dieser Zeit aus seiner COCOMIN AG ein renommiertes und viel gefragtes Beratungs- und Coaching-Unternehmen insbesondere für Finanzdienstleister mit Sitz in Leinfelden-Echterdingen geschaffen.
Insgesamt 60 so genannte Führungsbegleiter betreuen Kunden wie Allianz, Deutsche Bank, ERGO, Sparkassen und Genossenschaftsbanken, aber auch Unternehmen aus anderen Branchen wie Microsoft, Grohe oder Thyssen Krupp. Sie unterstützen jedes Jahr hunderte Führungskräfte bei der Einführung neuer Strategien, bei wichtigen Projekten oder anderen nicht alltäglichen Maßnahmen.
Auf die Corona-Krise reagierte der studierte Wirtschaftswissenschaftler bemerkenswert konsequent. Zusammen mit seiner Mannschaft ging er von Beginn an daran, sein Unternehmen krisenfest zu machen. Nach wenigen Wochen konnte er verkünden: „Wir sind für die kommenden 18 Monate gewappnet – selbst wenn wir bis dahin keinen einzigen Euro Umsatz machen sollten.“