Sind alte Versicherungsverträge wirklich immer besser? Ein kritischer Blick auf ein weit verbreitetes Vorurteil

Viele Menschen glauben, dass alte Versicherungsverträge automatisch besser sind, weil sie günstigere Konditionen oder besondere Leistungen enthalten. Doch dieser Glaube hält einem genaueren Blick oft nicht stand.
Tatsächlich können alte Verträge erhebliche Lücken aufweisen, weil sie nicht mit der Zeit gegangen sind. Versicherungen entwickeln sich stetig weiter, um neue Risiken abzudecken, die es vor 20 oder 30 Jahren so noch gar nicht gab. Wer sich allein auf einen jahrzehntealten Vertrag verlässt, könnte im Ernstfall feststellen, dass entscheidende Schäden gar nicht versichert sind.
Zeit also, mit dem Vorurteil aufzuräumen, dass alte Verträge immer besser seien.
1. Alte Versicherungen – gut, aber oft unvollständig
Viele ältere Verträge haben durchaus Vorteile, etwa keine Selbstbeteiligung oder beitragsfreie Zusatzleistungen. Doch auf der anderen Seite sind sie häufig unvollständig und lassen wesentliche Risiken unberücksichtigt.
Gebäudeversicherung – kein Unterversicherungsverzicht, keine Elementarschäden
Ein typisches Beispiel ist die Wohngebäudeversicherung. Wer einen sehr alten Vertrag hat, wird darin oft keinen Unterversicherungsverzicht finden.
Was bedeutet das? Ist die Versicherungssumme zu niedrig angesetzt – und das passiert bei älteren Verträgen durch gestiegene Baupreise schnell – bekommt man im Schadenfall nicht die volle Erstattung. Die Versicherung zahlt dann nur anteilig, auch wenn der Schaden selbst innerhalb der Versicherungssumme liegt.
Ein weiteres Problem: Elementarschäden wie Starkregen oder Hochwasser waren vor Jahrzehnten kein Thema. Früher wurden sie kaum versichert – heute gehören sie zum Standard. Alte Verträge bieten hier oft keine Erweiterungsmöglichkeit, selbst wenn man bereit wäre, einen Mehrbeitrag zu zahlen.
Man kann es vergleichen mit einem VW Golf von 1980. Man kann zwar versuchen, ihn auf den neuesten Stand zu bringen, aber ein modernes digitales Cockpit oder eine Rückfahrkamera aus dem neuesten Modell wird man dort einfach nicht einbauen können. Genauso sind viele alte Versicherungsverträge nicht anpassbar – sie bleiben auf dem Stand der damaligen Zeit.
Hausratversicherung – Fahrrad versichert, aber nur mit 500 DM
Ein weiteres Beispiel ist die Hausratversicherung. Alte Tarife beinhalten oft eine Fahrradversicherung, was gut klingt. Doch ein genauer Blick zeigt schnell die Schwächen:
• Die Erstattung ist oft auf 500 DM (heute rund 250 €) begrenzt – für ein modernes E-Bike völlig unzureichend.
• Der Schutz gilt nur innerhalb Deutschlands – in einer Zeit, in der viele Menschen europaweit unterwegs sind, ist das unpraktisch.
• Gleichzeitig fehlen in alten Verträgen wichtige Risiken wie Vandalismus, grobe Fahrlässigkeit oder Überspannungsschäden durch Blitze, die heute selbstverständlich sind.
Rechtsschutzversicherung – Keine Selbstbeteiligung, aber keine Internetrisiken
Ein ähnliches Bild zeigt sich in alten Rechtsschutzversicherungen. Manche alte Tarife haben zwar keine Selbstbeteiligung, aber dafür auch massive Deckungslücken:
• Internetrisiken und Cyberkriminalität waren vor 30 Jahren kein Thema, sind heute aber allgegenwärtig.
• Schutz vor Identitätsdiebstahl oder Online-Betrug fehlt in alten Tarifen komplett.
• Mediation oder außergerichtliche Streitbeilegung, die heute oft inklusive sind, gab es damals nicht.
Was bringt also eine 0-Euro-Selbstbeteiligung, wenn ich bestimmte Streitfälle vollständig selbst zahlen muss?
2. Kfz-Versicherung – Tarifumstellungen ohne Hinterfragen
Spannend ist übrigens, dass die meisten Kfz-Versicherungen regelmäßig umgestellt werden, wenn der Tarif dadurch günstiger wird.
Aber: Fragt hier eigentlich irgendjemand nach, ob sich dadurch nicht auch etwas verschlechtert hat?
Oder ist es bei einem Beitrag, der niedriger wird, einfach egal?
3. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen
Falls Sie beim Lesen dachten: „Betrifft mich nicht.“ – das könnte sich schnell ändern.
Ob Unfall-, Hausrat-, Haftpflicht- oder Wohngebäudeversicherung – alte Verträge können in vielen Bereichen schwerwiegende Lücken haben, die sich erst im Schadenfall bemerkbar machen. Und dann ist es zu spät.
Natürlich gibt es einen einzigen möglichen Nachteil, wenn man auf dem aktuellen Stand bleibt: Es kann etwas mehr kosten.
Doch aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Dieses Mehr an Beitrag lohnt sich in den meisten Fällen um ein Vielfaches, wenn es darauf ankommt.